Über den Autor
Komo Eskapo
„Komo Eskapo? So heißt kein Mensch!“
„Warum nicht? Ist Komo Eskapo kein wohlklingender Name?“, fragt der Realname und denkt dabei an seinen Namen, von dem er findet, dass er nicht zu ihm passt.
„Doch schon. Aber für einen deutschen Autor?“
„Komo Eskapo ist ein Zweitname.“
„Ein Zweitname? Können Zweitnamen Bücher schreiben?“
„Das siehst du doch!“
„Wer sich eines Zweitnamens bedient, der hat etwas zu verbergen.“
„Ist das so?“
„Seit wann gibt es diesen Komo Eskapo?“
Ein Datum, an dem es anfing? Schwer zu sagen, wann der Zweitname sich einschlich. Er kam wie die Antwort, hinterher, nach dem Wortgefecht, als alles schon vorbei war, auf dem Weg nach Hause. Die Antwort blieb, weil sie cool war, so wie der Realname sich wünschte zu sein. So soll auch das nächste Mal die Antwort sein, schlagfertig, überraschend, unangreifbar. Die Antwort weiß, dass sie sich unerlaubterweise breitmacht. Doch sie ist so gut, so geschliffen, so geschmeidig. Sie beugt die ‚andere‘, die erste, die, die verloren hat, die echte Antwort, bis sie unter den Tisch fällt.
Der Zweitname ist die andere Antwort, das Schokomus auf dem Brot, wo eigentlich Käse sein sollte. Der Zweitname lässt die Schatten springen, vor denen der Realname Angst hat. Der Zweitname schützt den wackeligen und empfindsamen Realnamen wie ein Burggraben, unüberwindbar für die nahenden Feinde.
Dann entsteht diese Wand, die Mauer, jeden Tag, jeden Tag ein Stück mehr, als ob sie jemand baute, nachts, im Verborgenen. Auf der einen Seite tobt das reale Tagesleben. Auf der anderen kommen die Gestalten aus ihren Verschlägen, tief sitzende Narben kennzeichnen sie, von den Schlägen, die sie sich selber zugefügt haben. Ihre Augen glänzen, sie sind voller Ideen, wenn man ihnen zuhört, sie wollen die Welt retten. Manchmal kommen sie auf die andere Seite mit Sonnenbrille im Blitzlichtgewitter. Spätestens nach der ersten Excel-Datei gehen sie zurück zu den Versagern, die immer noch Filterkaffee trinken und selbstgemachten Kuchen essen. Sie haben Angst vor der Sonne und den ‚grauen Herren‘, die Momo die Zeit stehlen.
Langsam geht der Geburtsname unter, der Realname, als er noch keinen Zweitnamen hatte, versinkt wie eine mit Vergangenheit überladene Schute. Die Vergangenheit löst sich in den vollgeweinten Taschentüchern und dem zu Tränen gerührten Lachen auf. Nur der Zweitname weiß, wer sich hinter der Tapetentür verbirgt. Nachts lässt er ihn sprechen, den Realnamen, sich in Anführungszeichen verstecken, in holprigen Relativsätzen, die hinterhergeschleppt werden. Der Zweitname lässt die Sonne auf- und wieder untergehen, wie es ihm gefällt. Er ist die Sternschnuppe, die an der Erde vorbeizieht und eine Nachricht fallen lässt.
Der Zweitname ist um die Welt gereist, hat fremde Menschen getroffen und an weißen Stränden in der Sonne gelegen. Der Realname ist gereist, weil er auf der Flucht war, auf der Flucht vor sich selber. Der Zweitname liebt das Leben, fühlt sich beschenkt, der Realname setzt sich mit Konflikten und Problemen auseinander, die seinem Glück im Wege stehen. Wenn dem Zweitnamen etwas im Weg liegt, sind das echte Hindernisse, Hindernisse mit Format, die laut schreien und gefährlich sind und keine schicksalhaften Begebenheiten, die wie klebriger Schleim an den Schuhsohlen haften, und bei jedem Heben ein Nebelhorn auslösen.
„Ich habe mir einen Zweitnamen gegeben“, sagt der Realname. Der Zweitname sieht ihn an. „Wozu brauchst du einen Zweitnamen? Kannst du dir überhaupt einen Zweitnamen leisten? Ist es nicht eher so, dass ich zu dir gekommen bin? Du hast mich gesucht. Bist immer wieder zu der Mauer gekommen, nachts. Doch du wusstest nicht, was du suchtest. Darum bin ich zu dir gegangen. An der Straßenecke habe ich das Plakat mit Albert Camus aufgehängt, vor dem die schwarzhaarige Frau mit ängstlichen Augen flieht. Da hat es ‚Klick‘ gemacht und der Vorhang ging auf. Da brachtest du dein Zweitname zur Welt, ab da habe ich dich begleitet, auf Schritt und Tritt.“
Der Name erzählt seiner Frau von seinem Pendant. Die Frau überlegt, sie kennt ihren Mann:
„Wozu brauchst du einen Zweitnamen?“
„Das habe ich mich am Anfang auch gefragt,“ antwortet er „und erst auf die eine und dann auf die andere Seite gesehen.“
„Was für eine andere Seite?“, unterbricht ihn seine Frau ärgerlich. Der Name klärt sie über die Mauer auf.
„Am Anfang war mir das nicht recht, eine zweite Identität zu haben, ich hatte das Gefühl, mich zu verleugnen. Bis ich feststellte, dass der Zweitname und ich kein Gegensatz, sondern Freunde sind. Wir ergänzen uns. Steht der eine vor verschlossener Tür, lernt der andere ein weißes Kaninchen kennen, das der Chefin auf den Arm springt, die gerade ihren Teleportierer hervorholt. Und schon sind wir drin. Ich liebe die beiden und möchte nicht ohne sie sein.“
„Wo seid ihr drin?“
Der Name sieht seine Frau erstaunt an, dass sie nicht versteht, was damit gemeint ist. Er holt gerade aus, um ihr den Sachverhalt zu erklären, als ihm brühwarm aufgeht, dass er es selber nicht weiß. Stotternd antwortet er:
„Ich werde den Zweitnamen fragen, ob er eine Antwort hat.“
Insgeheim scheut er sich vor der Auseinandersetzung mit dem Zweitnamen, der ihn auf einen dieser literarischen Ausflüge mitnimmt, der ihn morgens unausgeschlafen im Bett aufwachen lässt.
„Du hast es immer noch nicht kapiert, oder?“, überfällt ihn der Zweitname. „Du schreibst, ich schreibe! Du bist so unglaublich der Form verhaftet, dass du nicht an einem Spiegel vorbeigehen kannst, ohne ‚hinein‘ zu sehen und einen erfolgreichen Autor darin zu erkennen.
Keiner hat dir gesagt, dass du schreiben musst und schon gar nicht, dass du erfolgreich sein und groß rauskommen musst. Aber wenn du vor einem weißen Blatt Papier sitzt und dir die Finger jucken, dann solltest du es machen! Wenn du einen Satz schreibst und sich auf einmal die ganze Geschichte vor dir ausrollt, dann solltest du dich von nichts und niemanden daran hindern lassen, das Schwein über den Marktplatz zu treiben. Verstehst du? Es kann dir vollkommen egal sein, wie die Geschichte ausgeht, und es kann dir noch egaler sein, ob sie erfolgreich ist! Es ist deine Geschichte! Das ist das Einzige, was zählt. Du schreibst nicht für andere, sondern für dich! Nacharbeiten, deine Geschichte für andere lesbar machen, kannst du hinterher, wenn du fertig bist.“
Seine Frau nickt, als er ihr beim Frühstück berichtet, was der Zweitname gesagt hat. „Und wer schreibt jetzt die Geschichten? Du oder der Zweitname?“
„Du meinst, wer es in die Tastatur hackt? Wenn du dich schon so interessiert danach erkundigst...“
„Das kannst du vergessen! Du glaubst nicht im Ernst, dass ich mit ausgefahrenen Antennen neben dir sitze, mir ungehobelte Sätze anhöre und die in den Computer eingebe?
Ich nehme gern ein spannendes Buch mit in den Urlaub und lese es am Strand. Noch besser, wenn es von dir ist. Wenn es noch besser ist, lade ich dich auch zu einem Drink ein. Das war’s aber auch.“
Der Zweitname lacht, als der Name ihm die Geschichte erzählt. „Siehst du. Schon hast du eine neue Geschichte.“